Wie das Klettern mein Leben bereichert…

Und das tut es bis heute! Gerade erst zum Beispiel… nämlich am gestrigen Tag: seit mehreren Wochen haben eine Kletterfreundin und ich nun schon vor, endlich wieder gemeinsam an den Felsen zu gehen. Krankheits-, wetter- und urlaubszeitbedingt mussten wir mehrmals verschieben – aber jetzt war es endlich soweit. Eigentlich wäre (wie so oft) einiges Anderes zu tun gewesen, denn es handelte sich um einen ganz
normalen Mittwoch. Ein anderer Tag war für uns beide nicht zeitgleich möglich! Einkaufen, Wäsche
machen, Termine organisieren und meine allgemeine „Büroarbeit“ – all dies blieb erstmal unerledigt.
Treffpunkt war nämlich bereits um 9:30 Uhr. Das Wetter spielte diesmal glücklicherweise mit – und zeigte sich noch dazu von seiner ALLERBESTEN Seite: als einziger Sonnentag in einer durchgängig regnerischen Woche. Was für ein Glück!

Bei aktuell mäßigem Wind und nur leichter Bewölkung sollte der Fels bei unsrer Ankunft bereits trocken sein. Also geht´s wie immer los mit Packen, Jause und ausreichend Trinken vorbereiten, nochmaliger Wettercheck, Rucksack und Seil ins Auto, ebenso das Kletterbuch vom ausgesuchten Gebiet. Und: Abfahrt!
Singend und mit deutlicher Vorfreude sitze ich im Auto. Ich freue mich aufs Draußen-Sein, Kopf frei kriegen und auf das Wiedersehen mit meiner Freundin. Es gibt keinen Druck, heute etwas „besonders Schweres“ zu schaffen – meine Partnerin war länger krank und wir haben vereinbart, einfach mal zu schauen, wie`s uns geht und worauf wir Lust haben.

Los geht`s!

Wir treffen uns auf halber Strecke. Herzliche Begrüßung, rasch umpacken und weiter geht die Fahrt! Das Update der letzten Wochen erfolgt im Groben bereits im Auto: wir tauschen unsre Erlebnisse des vergangenen Sommers aus, wie es um unsere Beziehungen und Freundschaften steht, den momentanen Gesundheits- und Gemütszustand und was uns aktuell grad im Leben beschäftigt. Der Austausch tut gut – ich habe sie vermisst, wie ich merke… Der Zustieg: steil und anstrengend wie immer. Das Plaudern wird weniger – die Konzentration auf den Weg vor uns und die eigene Atmung steigt. Ich komme mehr und mehr zu mir – spüre meinen Körper, die Kraft in meinen Beinen. Ich fühle mich gut heute. Hab ausreichend geschlafen und bin voller Energie. Ich freue mich, hier zu sein – an diesem schönen Spätsommertag. Der Wald hat sich verändert seit wir zuletzt hier waren – die Blätter färben sich bereits und die ersten fallen ab… eine neue Jahreszeit bricht an!

Im Hier und Jetzt sein

Ein entwurzelter Baum versperrt uns den weiteren Weg. Wir helfen uns gegenseitig, um mit unsrem Sack und Pack weiterzukommen und sind bald darauf am Wandfuß. Ein älteres Kletterpaar ist schon vor Ort, ansonsten herrscht eine angenehme Ruhe: kein Autolärm mehr, keine Musik, keine Handyklingeln. Ausschließlich Naturgeräusche: Vögel zwitschern, der Wind streift durch die Baumkronen, die Blätter am Boden rascheln bei jedem meiner Schritte. Erholung setzt ein – auch wenn das Aufsteigen mich körperlich angestrengt hat. Oder genau deswegen? Gepäck ablegen – und erstmal ein Schluck Wasser. Blick zum Felsen. Und entscheiden: wo wollen wir heut beginnen? Ab dann zählt nur noch der Moment:
Welche Route?
Wer beginnt?
Was brauche ich an Ausrüstung?
Wie fühle ich mich gerade?

Ich hab´ Lust zu starten – und auch meiner Partnerin passt das gut. Die Routen auf dieser Seite bin ich seit Jahren nicht mehr geklettert. Ich erinnere mich kurz an damals und bin gespannt, wie es sich heute anfühlen wird. Es sollte mir leichter fallen… damals war ich noch in meinen Anfängen, habe mich oft mit Angst und Überwindung „raufgekämpft“, war nervös und aufgeregt. Aufregend ist es immer noch! Aber heute sehe ich bereits vom Boden aus, wo ich steigen und greifen werde. Ich fühle mich locker und freue mich auf die Bewegungen. Es wird mit ziemlicher Sicherheit ziemlich Spaß machen.

Die Züge fallen mir leicht, ich konzentriere mich auf den nächsten Griff und meine Zehen stellen sich präzise auf die vorhandenen Trittmöglichkeiten. Ein Leichtes! Ich bin oben. Und werde kurz darauf von meiner Partnerin wieder abgelassen. Sie weiß genau, was zu tun ist – ein vertrautes Gefühl. Das Aufwärmen fühlt sich easy an. Und ich überlege, ob heute der Tag sein könnte, an dem ich mein Projekt durchsteigen werde… Die Route ist steil – und vergleichsweise lang. Die Absicherung ausreichend, aber doch so weit, dass ich meine Angst vorm Stürzen gut im Zaum halten muss, damit ein Durchstieg gelingen kann.

Ich möchte es versuchen! Möchte wissen, wie weit ich heute komme. Oder ob ich gar bis ganz nach oben komme!

Mein Körpergefühl ist gut, die mentale Verfassung ebenfalls – ich hab Lust auf diese Herausforderung. Meine Partnerin klettert schon lange und regelmäßig, mit ähnlicher Leidenschaft wie ich selbst. Sie ist
aufmerksam und findet immer die passenden Worte, um mich im Fall des Falls zu motivieren und nicht aufzugeben. Das gibt mir zusätzlich Sicherheit. Die Sonne scheint angenehm warm auf meinen Rücken – und: ich habe ganz neue Exen am Gurt, die sich toll klippen lassen Auf geht´s! Ich will es jetzt wissen!

Noch schnell ein „Durchstiegs-Kaugummi“ aus meinem Kletterrucksack (…ein langjähriges Ritual von mir), Einbinden am Seil, Kletterschuhe an – und der obligatorische Griff ins Chalkbag, direkt vormletzten Routencheck: ich schau mir die kniffligen Stellen nochmals von unten an, gehe sie geistig durch, visualisiere die Bewegungen dazu. Die Aufregung steigt. „Jauk´ mi auffi, wenn nötig! I versuchs jetzt gleich zum Durchsteigen!“, grinse ich meine Kletterpartnerin an. Sie nickt mir zu. Ich starte mit dem Gedanken, heut könnte es wirklich klappen… körperlich UND mental. Oder doch nicht?…

Let`s try!

Stille im Kopf. Ich klettere los. Erste Exe geklippt – ich bin erstmal safe. Erste unangenehme Stelle – geht ganz gut. Okay – jetzt ein bisschen nach rechts. Ich erinnere mich… Jetzt weit nach links greifen: halt dich fest! Und den Mini-Tritt unter dir mitnehmen. Da ist er! Fuß hin – er hält – und zügig weiter nach oben. Meine Muskeln spannen sich an. Es wird anstrengend. Aber ich fühle mich stabil. Von unten kommend die Stimme meiner Freundin: „Schaut gut aus – super! Weiter so!“ Ich klettere weiter. Bin hellwach und vollkommen fokussiert: nächster Zug. Nächster Tritt. Jetzt wird´s noch steiler, noch fordernder. Die Schlüsselstelle liegt vor mir. Die Anspannung steigt in Richtung Nervosität. DURCHATMEN! Tiiiieeeef atmen. Es hilft! Du willst das! Geh weiter. Greif dort hin und halte den Griff! Come on!! Das geht!!! Kurze Rastmöglichkeit. Aaaaah – wie angenehm. Kurz Hände ausschütteln. Nochmals durchatmen. Blick nach oben: Wie gehts weiter?
„Ich hab´dich – es kann nix sein! Du machst das!!“ Meine Partnerin kennt mich gut – die Ansage kommt genau im richtigen Moment. Ich klettere weiter. Noch 2 Züge, dann habe ich das Schwerste geschafft… Es klappt! Ich bin drüber – und kanns jetzt tatsächlich bis zum Top schaffen. Die Kraftreserven sind ausreichend. Bleib dran – konzentrier´dich!! Atme. Steige. Ich sehe das Top – schraube den Karabiner auf, lege das Seil ein und: schließe ihn. Es ist geschafft! Erleichterung stellt sich ein – und dann die Welle aus Stolz und dieses herrliche Glücksgefühl. Ich hab´s geschafft! Juhuuu!!! Wie cooooool!!“ Ich konnte alles Wichtige aktivieren – und alles Unwichtige ausblenden, habe durchgehalten und meine Angst so gesteuert, dass ich weiter klettern konnte. Wieder ein Stück gewachsen. Ein weiterer Erfolg. Wieder dieses wohltuende „ganz und gar im Moment sein“. Vollkommene Konzentration auf das Hier und Jetzt – wo nichts Anderes Bedeutung hat. Dann bemerke ich: die Sonne wärmt mich noch immer – und der Wind ist angenehm kühl auf meiner Haut. Ich fühle mich voll frischer Energie – zu 100% neu aufgeladen. Was für ein Lebensgefühl!!

„Ok. Runter!“, rufe ich laut nach unten. Und es geht mir einfach gut.

„Der Fels ändert sich nicht – aber wir können uns verändern. Darin liegt unser grundlegender Vorteil!“, sage ich lachend zu meiner Freundin und klatsche mich mit ihr ab. Und erst als ich das Erlebte niederschreibe, wird mir die Reichweite dieser Aussage bewusst… Den Abschluss dieses Tages bildet ein Sprung ins kalte Wasser an meiner liebsten Badestelle am Rückweg. Die Wassertemperatur ist deutlich abgesunken, außer mir ist bloß eine weitere Person im Wasser. Ich spüre meinen Körper bis in die Zehenspitzen – ein Gefühl, das ich zu lieben gelernt habe! Was man alles erleben kann – an einen einzigen Tag. Das Leben ist wahrlich ein Geschenk!